Dienstag, 21. März 2006
Generalstreik der Indianer
Ich weiss nicht, ob das bis Deutschland durchgedrungen ist: Ecuador ist zur Haelfte durch Strassensperren der Indianer gelaehmt. In einigen Andenregionen werden langsam Sprit und Lebensmittel knapp.
Die Streiks dauern seit gut einer Woche und sollten diese Woche zu Ende sein, tatsaechlich ist aber kein Ende in Sicht. Streitpunkt: Die indianische Bevoelkerung will verhindern, dass die Regierung den TLC (Tratado Libre Comercio), den Vertrag zum Beitritt in die Freihandelszone Amerikas, unterschreibt (ich vermute, es handelt sich hier um ALCA oder eine Art ALCA light, genau konnte ich das bisher nicht rausfinden). Die Bauern befuerchten, dass sie ihre Erzeugnisse dann nicht mehr verkaufen koennen. Ich persoenlich glaube, dass das ganze weniger die Bauern betreffen wird - die Lebensmittel, die sie verkaufen sind so billig, dass der US-Mais etc. da wohl nicht rankommt. Wahrscheinlich betrifft es eher den Handel allgemein, Technologien etc. Manche wollen den alten Praesidenten Gutierrez, der vor etwa einem Jahr gestuerzt und eingesperrt worden ist wieder zurueck haben (Gutierrez ist seit ca. 2 Wochen wieder auf freiem Fuss). Offizielle Praesidentschaftswahlen sind im Herbst. Es bleibt abzuwarten, wie viele Praesidenten Ecuador bis dahin noch erleben wird ;-) . Ich weiss, dass das fuer europaeische und v.a. deutsche Ohren alles sehr gefaehrlich klingt – hier ist es ein altbekanntes Spiel, also kein Grund zur Besorgnis. Nerven tun nur die Streiks und Sperren, weil ueber die kommen auch wir, die wir mit dem ganzen nichts zu tun haben, nicht hinweg. So konnten wir heute unsere geplante Kurzreise in das tropische Valle del Chota, wo die afro-ecuadorianische Bevoelkerung nicht nur alte afrikanische Taenze bewahrt hat, sondern auch die besten Fussballspieler des Landes wie Tin Delgado hervorbrachte, nicht antreten: in der Nachbarprovinz Imbabura (wir sind hier in der Provinz Pichincha) muessen die Leute zu Fuss stundenlang in die Arbeit laufen – wenn sie nicht gerade mitten in der Provinzhauptstadt Ibarra neben ihrer Arbeitsstelle wohnen... Fuer alle die Ecuador kennen: Auch der Handel zwischen Quito und Otavalo (dort gibt es die schoenen Websachen der geschaeftstuechtigsten Indianer Suedamerikas – die, die bei uns in der Fussgaengerzone musizieren, gesetzt den Fall, dass es Ecuadorianer sind...) ist fast unmoeglich, so dass das Angebot der Indianermaerkte in der Hauptstadt im Schrumpfen begriffen ist.

Das Problem ist, dass sich die Bevoelkerung (bzw. Teile davon) gegenseitig aufwiegeln, keiner aber genau weiss, um was es genau geht. Erst jetzt gibt es erste Aufklaerungsberichte und Kommentare in den Medien, die deutlich machen, was genau vom Freihandelsvertrag betroffen sein wird.
Meiner Meinung nach sind einfach viele aus Lust am Streik und froehlichen Beisammensein, am Kaempfen fuer irgendeine Sache (egal fuer welche) unterwegs. Viele von ihnen werden weder die Zeitung lesen, noch regelmaessig Nachrichten kucken. (Im Urwald haben wir beispielsweise ueberhauptnix von den Streiks mitgekriegt). Heute sind die ersten Indianer aus Amazonien nach achttaegigem Fussmarsch in Quito angelangt. Die Stadt ist ruhig, weil die Militaers die Streikenden an den Zufahrtsstrassen festhalten und nicht durchlassen.

Heute ging wieder mal ein Wolkenbruch runter, dass einem Hoeren und Sehen vergangen ist. Was mich immer wieder erstaunt, ist in solchen Situationen die Anpassungsfaehigkeit des informellen Sektors. Verkaufen die fliegenden Haendler bei trockenem Klima Bonbons, Schreibtischstuehle, Lose der Lotterie und Fruechte auf den Strassen, so zaubern sie beim ersten Regentropfen „paraguas por 2 dólares“ (Regenschirme fuer 2 USD) herbei. Heute gab es wieder mal mehr Regenschirmverkaeufer als Leute auf der Strasse....

Zufriedene Gruesse von N.

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